„Achtest du auch genug auf dich?“ – diesen Satz habe ich in einer kollegialen Beratung gehört. Ich finde ihn super, zeigt er doch so viel Bewusstsein über Selbstfürsorge und Achtsamkeit dem anderen gegenüber. Verschiedene Bedeutungsebenen der Selbstfürsorge für Führungskräfte lesen Sie in diesem Artikel.
Eine Mitarbeiterin spricht mich an, ich sitze gerade am Schreibtisch, meine Türe ist offen. Sie hat ein Anliegen, wir gehen ins Besprechungszimmer und sie eröffnet mir, dass sie kündigt. Ich höre ihr zu. „Geil finde ich das nicht“, denke ich und sage es ihr auch. Ihre Beweggründe aber kann ich verstehen. Sie erzählt davon, dass sie dem Patientenkontakt dauerhaft nicht gewachsen ist, weil sie den Eindruck hat, sie gibt mehr rein in den Kontakt, als sie rausbekommt. Am Ende des Arbeitstages fühlt sie sich erschöpft, sodass sie keine Energie mehr für ihre Freizeit aufbringt. Ihr Akku fühlt sich leer an.
Der Akku fühlt sich leer an
Selbst meine ich dieses Phänomen aus dem Coaching oder der Beratung zu kennen. Es gibt Menschen, die ziehen Energie in Form von Aufmerksamkeit, Zuspruch und anderem – egal woher sie sie bekommen. Nach manchen Gesprächen fühle ich mich mehr beansprucht, auch wenn ich gefühlt nichts anders getan habe wie in anderen Gesprächen. Ich möchte mich schützen. Rituale nach dem Gespräch helfen mir. Zum Beispiel das Gespräch ordentlich zu schließen, gut lüften, den Raum abschreiten und wieder für mich einnehmen, bewusst Verantwortung für den Inhalt abgeben, eine kurze Atem-Meditation.
In der Physiotherapie und der Lymphtherapie ist der Kontakt enger. Körperliche Berührung, teilweise langjährige TherapeutInnen-PatientInnen-Beziehungen, manchmal mehrmals wöchentlich, führen dazu, dass eine besondere Beziehung entsteht. Für manche PatientInnen stellen die PhysiotherapeutInnen einen der wenigen Kontakte außerhalb ihres normalen sozialen Umfeldes dar. Mitunter das führt dazu, dass die PhysiotherapeutInnen noch eine andere Funktion im Rahmen psychosozialer Fürsorge ausfüllen.
Erst Selbst-, dann „Nächsten“-Fürsorge
Obschon oder gerade, weil sie körperlich berührt werden, sprechen manche PatientInnen viel im Laufe der Behandlung. Das kann sehr, sehr kräftezehrend sein. Es gilt sich zu schützen, Rituale zu entwickeln, die Therapie und das Gespräch so zu steuern, dass diese in einem stimmigen Rahmen bleibt. Alles mit dem Ziel, für sich selbst zu sorgen.
„Bei Druckabfall in der Kabine, setzten sie zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske auf, dann den anderen“ – so oder so ähnlich haben es die meisten Menschen schonmal beim Start eines Flugzeuges gehört. Und tatsächlich hilft dieses Prinzip für den eigenen Umgang mit Selbstfürsorge. Denn nur dann, wenn ich mit mir in Kontakt bin und eigene Ressourcen habe, kann ich für andere eine Ressource sein.
Selbstfürsorge für Führungskräfte
Das gilt auch für Führungskräfte. Führungsrollen sind vielfältigen Belastungen ausgesetzt, die Achtsamkeit gegenüber sich selbst steht oft nicht im Vordergrund. Eher die Achtsamkeit auf Inhalte und andere Menschen. Als arbeitgebernahe Führungskraft trägt man einen Teil der Fürsorgepflicht. Tatsächlich aber auch gegenüber sich selbst.
Bei weiterhin steigenden Krankheitszahlen und deutlicher Zunahme der psychischen Erkrankungen in 2023 müssen wir uns die Frage gefallen lassen, inwieweit Arbeits-Organisationen zur Krankheit und weniger Gesundheit der Menschen darin beitragen. Und welche Rolle Führungskräfte in diesem Kontext haben.
Wozu Selbstfürsorge in der Führung?
Führungskräfte, die auf sich selbst achten, können anders auf andere achten. Beziehungsweise auf Anzeichen für etwaige Belastungssituationen bei anderen. Ein gesundheitsorientierter Führungsstil kann sich positiv auf die Mitarbeitendengesundheit und andere Faktoren wie deren Arbeitszufriedenheit, Engagement und Leistung auswirken, so fassen Studien die Auswirkung von Health-oriented Leadership zusammen.
Natürlich mache ich mir Gedanken. In einer stark vom Fachkräfteengpass geprägten Branche Mitarbeitende aufgrund psychischer Belastungen gehen zu lassen, fühlt sich nicht gut an. Aber: Es spornt an, nochmal genauer hinzusehen. Ob nicht noch Rahmenbedingungen etwas mehr verbessert, an der ein oder anderen Stelle genauer hingehört oder behutsamer geführt werden kann. Denn Selbst- und Nächstenfürsorge Lernen ist ein Prozess.
Achten Sie auf sich
Felix Pritschow